Karneval Maske
Der Harlekin, abgeleitet vom italienischen Arlecchino, ist eine klassische Bühnenfigur u.a. der Commedia dell’Arte. Ob Harlekin Joggi ähnlich maskiert war, ist nicht überliefert.

Närrisches Treiben im und um den Turm

Ein ungeheuerlicher Vorgang spielte sich Mitte des 18. Jahrhunderts am Fasnachtsdienstag auf dem Solothurner Marktplatz ab und führte zu einem zwischenzeitlichen Verbot des Maskengehens. Natürlich ist der Turm zentraler Bestandteil auch dieser Geschichte. Und das ist das altehrwürdige Haus noch heute, wenn Solothurn im Trubel des Fasnachtsgeschehens steht.

Der Solothurner Ratsherr Franz Peter Zeltner ahnte nichts Böses, als er mit seiner Familie und in Begleitung eines Gastes aus Bern am Fasnachtsdienstag im Jahre 1751 am Roten Turm vorbei über den Marktplatz schritt. In den Wirts- und Zunfthäusern herrschte buntes Treiben. Es ging hoch zu und her. Es war kurz nach neun Uhr abends. Ratsherr Zeltner wollte seinem Berner Gast zeigen, wie man in Solothurn zu feiern pflegt. Wie man singt, tanzt und lacht. Der Fasnachtsdienstag schien für dieses Vorhaben geradezu ideal. Auf den Strassen war es dunkel, eine Strassenbeleuchtung gab es Mitte des 18. Jahrhunderts in Solothurn noch nicht. Und da geschah etwas Unerhörtes, noch nie Dagewesenes: Ein als Arlequin kostümierter Unbekannter stürmte ordentlich betrunken auf den Ratsherrn zu und  stösst Zeltner «under Augen der Macht» seine brennende Fackel gegen die Brust. Und zwar so stark, dass «das feürig- und brennende Bäch ihme in das Angesicht gesprützt», wie es im Ratsmanual über diesen Fall heisst. Nicht nur des Ratsherren Gesicht, sondern auch seine Kleider waren voller Pechspritzer. Die Situation drohte schliesslich vollends zu eskalieren, als der Maskierte seine Fackel drohend über Zeltners Kopf hin- und herschwenkte, als wollte er den Ratsherrn verprügeln.

Zeltner fürchtete um sein Leben.


Auf der Jagd nach dem Arlequin

Nachdem der Ratsherr dem Angreifer gut zugeredet hatte, leuchtete ihm dieser mit der Fackel ins Gesicht und verschwand so schnell, wie er einen Moment zuvor aufgetaucht war. Kaum vom Schock erholt, erinnerte sich Zeltner beobachtet zu haben, wie die Maske kurz vor dem Angriff aus dem Wirtshaus «Roter
Turm» gelaufen kam. Schnurstracks eilte er in den Turm und erkundigte sich nach der wahren Identität des Harlekins. Bei den Wirtsleuten biss er allerdings auf Granit: Sie rückten mit dem Namen der Maske genauso wenig heraus wie eine Gruppe Maskierter, die der Ratsherr gerade ins Zunfthaus zu Schmieden huschen sah und sogleich zur Rede stellte. Auch ein weiterer Versuch schlug fehl: Zeltner eilte zu einer weiteren Maske und es gelang ihm, mit dem Vermummten ins Gespräch zu kommen. Nach der Mahnung eines Dritten, niemanden zu denunzieren, hatte auch dieses Gespräch ein abruptes Ende genommen. Zelter war so klug wie zuvor. Und auf die Knochen blamiert, wunderte sich doch sein Gast aus Bern als Zeuge dieser despektierlichen Behandlung über die Verhältnisse in  Solothurn.

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Dass die Fasnacht eigentlich eine friedliche Angelegenheit ist, zeigt dieses Bild aus den 1930er-Jahren. Solothurner Wirte haben sich zusammengetan und zogen in den Trubel. Mit dabei natürlich auch der damalige Turmwirt Ernst Marti-Kissling (3. von links).

Der Täter mit Erklärungsbedarf

Selbstverständlich liess Zeltner diese Schmach nicht auf sich sitzen und informierte am nächsten Tag Schultheiss und Rat, der den Vorfall sogleich verhandelte. Bereits zu diesem Zeitpunkt wusste die ganze Stadt, wer sich am Vorabend hinter der Maske versteckt hatte: Es war der Hauswirt der Zunft zu Schiffleuten, Christoph Joggi – am Tage danach allerdings noch unpässlich. Er musste zuerst seinen Rausch ausschlafen. Der Rat stellte ihn sogleich unter Hausarrest und er wurde vorgeladen. Am darauffolgenden Montag eröffnete der Schultheiss die Verhandlung und führte Joggi all die Schändlichkeit seiner Tat vor Augen. Joggi setzte diese Augen geschickt ein und entschuldigte sich unter Tränen – natürlich mit seiner Version der Geschichte: Er habe seinen Kameraden nacheilen wollen und dabei sei ihm seine Maske verrutscht. Nur deshalb sei er gegen den Ratsherrn gestossen. Als er diesen sprechen gehört habe, habe er die Fackel hochgehalten, um etwas sehen zu können.


Mit einem blauen Auge davongekommen

Die Erklärung und Entschuldigung von Harlekin Joggi wurde vom Rat akzeptiert. Wohl weniger aus Gründen der Plausibilität als vielmehr, weil bereits die ganze Stadt über den hilflos dem Harlekin hinterherjagenden Ratsherrn lachte. Die verrutschte Maske wurde für die Wurzel allen Übels befunden und die Gesichter aller Beteiligten wurden gewahrt. Joggi erhielt lediglich eine milde Strafe und musste eine kleine Busse bezahlen. Die Geschichte hatte allerdings ein Nachspiel: Zwei Tage nach Joggis Verhandlung verordnete der Rat den Masken ein einheitliches Erscheinungsbild. So sollte würdig-schwarze Schlichtheit jeglicher Extravaganz vorangestellt werden. Weiter waren Tanzveranstaltungen nur noch bis neun Uhr abends erlaubt. Die Verbote konnten sich allerdings nicht lange halten und bald war das Herumziehen in Masken – und waren sie auch noch so hässlich – wieder an der Tages- beziehungsweise Nachtordnung. Dass ausgerechnet der «Rote  Turm» auch in dieser Geschichte eine Rolle spielt, ist kein Zufall. Noch heute ist der Turm ein wichtiger Treffpunkt während der Solothurner Fasnacht. So ist der Turm beispielsweise ein Teil des Hilari-Programms und ein beliebter Ort, um sich die Schnitzelbänke der vielen Gruppen anzuhören.


Geschichtliches zur Solothurner Fasnacht

Die Wurzeln der Solothurner Fasnacht, das traditionelle närrische Treiben in der Woche vor dem Aschermittwoch, reichen bis ins 14. Jahrhundert. Im  Spätmittelalter wurden vor allem Fasnachtsspiele aufgeführt. Das heute noch gepflegte Maskenlaufen kam erst im 16. Jahrhundert auf. Der erste dokumentierte
Umzug (Korso) mit 22 Gruppen fand im Jahre 1754 unter dem Motto «Hundertjähriger Kalender» statt.