Der Zeitglockenturm, die astronomische Uhr und die Figurengruppe

1624 war Johann Kieffer Eigentümer des Gasthofs. Der Familie Kieffer entstammte auch der Neubegründer und erste Abt des Klosters Mariastein, Fintan Kieffer.

 

1631 baute Kieffer den Roten Turm für 700 Pfund um. Die Obrigkeit vergütete ihm an den Umbau 15%, also 105 Pfund. Doppelsinnige Wirtschaftsförderung.

 

Der Rat vergütete ihm 1631 auch die Verpflegung von Jerusalempilgern, nicht aber den Hafer für ihre Pferde: «Dem Jungrat Johann Kieffer, Wirt zum Turm die Zehrung, so die Mönche von Bethlehem und Nazareth gethan, ohne den Haber bezahlt 429 lb. 5 f. 4 d.» Die Pilger waren, wie es schein, recht ausgehungert.

 

Im November 1628 erlag der Sohn Kieffers der Pest, und weitere Angehörige der Wirtsfamilie erkrankten. Die kranken Frauen brachte man in den Spital in der Vorstadt, und «der Wirt Hans Küeffer» wurde angewiesen, ihnen die notwendige Nahrung zukommen zu lassen. Die Krankenpflegerinnen des Spitals durften die Gassen nicht mehr betreten. Es befanden sich viele Infizierte im Spital, und der Pestscherer Caspar Ott (handwerklich ausgebildeter Arzt) musste dem Rat schriftlich rapportieren, wer seine Angehörigen im Spital mit Nahrung versorgt hatte und wer nicht.

 

Es erstaunt nicht, dass die Familie des Turmwirtes zu den Pestopfern gehörte. Die Pest wird durch den Rattenfloh übertragen, und dass es im Turm Ratten hatte, ist naheliegend. Die Tiere fanden dort jederzeit etwas zum Fressen. Die Rattenflöhe infizieren anfänglich Ratten. Diese erkrankten und starben daraufhin. Mangels Ratten befielen die Rattenflöhe dann Menschen. So wurde der Sohn des Turmwirts zum Opfer der Pest.

Zu jener Zeit war es üblich, die Kleider und die Betten gemeinsam zu benützen, und damit wurden auch die Flöhe Allgemeingut. So erkrankten und starben ganze Familien an der Pest.

 

Das allein ist aber nicht der Grund, dass uns noch heute der Tod am Zeitglockenturm mit jedem Stundenschlag auffordert, unsere Vergänglichkeit nicht zu vergessen.

 

Schon 1406 wird der Turm als «Zitglogge» erwähnt.

 

Im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit waren private Uhren rar. Deshalb war eine öffentliche Zeitanzeige, wie die am Zeitglockenturm, von grosser Bedeutung.

 

Der Turm war mit einem Wächter besetzt, der in früheren Zeiten eigenhändig zu den vollen Stunden die Glocke schlug. Doch der Turmwächter versäumte nicht selten, die Stunden auszurufen und die Glocke zu schlagen. Das führte zu Unregelmässigkeiten bei den Wachen auf den Mauern und an den Toren. Die Wachtablösungen klappten nicht mehr. Da installierte man einen mechanischen Wächter, der wie die Wachtposten mit Harnisch und Helm ausgestattet wurde. Es ist der 2,10 m grosse Jaquemart, der mit einem Hammer von 49 Pfund auf die Glocke schlägt. Er stammt aus dem 15. Jahrhundert.

 

1543 war die Uhr «altershalb abgegangen» und musste ersetzt werden. Die Stadt vergab den Auftrag dem bekannten Winterthurer Uhrmacher Lorenz Liechti. Dieser baute und installierte die Uhr, aber brachte sie einfach nicht zum Laufen. Nach einigen Briefen an Liechti wandte sich der Rat an «Den ersamen, wysen, schultheissen und rate zu Wynterthur unsern lieben und gutten fründen». Dauernd zwei Wächter auf dem Zeitglockenturm zu beschäftigen war der Stadt zu teuer, und zwei Wächter brauchte es, um Tag und Nacht die Zeit auszurufen.

Lorent Liechti konnte aber schlicht nicht mehr kommen, denn er war gestorben. Doch seine Witwe organisierte den ausgezeichneten Schaffhauser Uhrmacher Joachim Habrecht. Dieser brachte 1545 die Uhr zu allseitiger Zufriedenheit zum Laufen.

 

Das astronomische Kunstwerk tickt seither mit wenigen Ergänzungen bis heute, und zählt zusammen mit dem am «Zytglogge» in Bern zu den eindrucksvollsten astronomischen Uhren mit Automatenwerk in der Schweiz.

 

Die drei Gewichte müssen täglich hochgezogen werden.

Der Stein des Stundenschlagwerkes wiegt 129kg, der Stein des später dazugekommenen Viertelstundenschlagwerkes 102kg, und der Stein des Gehwerkes 30kg.

 

Zur Wartung der Uhr leistete sich die Stadt ab 1567 einen Uhrmacher. Der heutige Stadt-Uhrmacher ist Martin von Büren, der seit 1981 diese verantwortungsvolle Aufgabe von seinem Vater übernommen hat.

 

Die astronomische Uhr

 

Die Uhr hat drei Zeiger: Der grosse Stundenzeiger mit der vergoldeten Hand zeigt die Tages- und Nachtstunden an. Der kleinere Sonnenzeiger mit der Sonne und der ebenfalls kleinere Mondzeiger mit dem Mondgesicht laufen entgegen dem Uhrzeigersinn und verweisen auf den Stand der beiden Gestirne.

 

Die obere XII deckt sich mit der Himmelsrichtung Süd, die untere mit Nord, die linke VI mit Ost und die rechte mit West. Die Sonne bewegt sich von West über Süd nach Ost. Innerhalb des Stundenkreises sind die Tierkreiszeichen angebracht.

 

Der Sonnenzeiger

 

Am 21. März, dem Frühlingsanfang, tritt die Sonne in das Zeichen des Widders. Tag und Nacht sind gleich lang. Der Sonnenzeiger liegt horizontal. Langsam steigt die Sonne am Himmel höher. Am 22. Juni erreicht sie das Zeichen des Krebses. Dort hat sie ihren Höchststand erreicht, es ist Sommerbeginn, der Zeiger weist senkrecht nach oben. Nun werden die Tage wieder kürzer. Wenn der Zeiger horizontal liegt, beginnt der Herbst, Tag und Nacht sind gleich lang. Am 22. Dezember ist der Zeiger in seiner tiefsten Lage, die Sonne hat ihren tiefsten Stand erreicht und wir haben den kürzesten Tag. Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren braucht der Zeiger also ein ganzes Jahr.

 

Der Mondzeiger

 

Der Mondzeiger läuft in der gleichen Richtung wie der Sonnenzeiger, denn auch der Mond bewegt sich im Tierkreis in der Richtung West-Süd-Ost. Er gibt an, in welchem Tierkreiszeichen sich der Mond befindet. Bewegt sich der Mond im Tierkreis abwärts, ist er «nidsigends», bewegt er sich wieder aufwärts, ist er «obsigends». So können die Leute, wenn sie auf dem Markt Setzlinge einkaufen, gleich sehen, wann sie ihr Gemüse anpflanzen müssen.

 

Bei Vollmond stehen sich Sonnen- und Mondzeiger gegenüber, bei Neumond überdecken sie sich. Es vergehen 29 ½ Tage von Vollmond zu Vollmond.

 

Der Mondzeiger kehrt somit nach 29 ½ Tagen zum Ausgangspunkt zurück. Die Mondperiode wird auch mit der Kugel über der Figurengruppe am Sternenhimmel dargestellt. Die eine Seite der Kugel ist blau, die andere golden gefärbt. Bei Neumond ist die blaue Hälfte dem Marktplatz zugekehrt, bei Vollmond die goldene.

 

Die Turmuhr

 

Im 16. Jh. waren Minuten noch eine Nebensache, der Stundenschlag musste gehört werden. Deshalb brachte man nur einen grossen Stundenzeiger an.

 

1753 stimmten Anzeige und Glockenschlag nicht mehr überein. Eine Kommission wurde beauftragt, mit dem Uhrmacher Pfluger zu reden und ihn dabei an den Handwerkereid zu erinnern. Niklaus Pfluger überholte die Uhr und schlug der Regierung vor, einen Minutenzeiger einzubauen. Der Rat lehnte ab. Pfluger solle die Uhr so lassen «wie sie von alters har gewesen». Für die Politiker waren Minuten noch nicht wichtig. Pfluger hat sich aber offensichtlich nicht an den Handwerkereid gehalten, denn das nordwärts gelegene Zifferblatt erhielt im Jahre 1756 trotzdem einen zweiten Zeiger, der mit seiner Hand, der mahnenden und leitenden «Hand Gottes», die Minuten angibt. Dieser Zeiger ist aber kürzer als der Stundenzeiger. Deshalb ist hier der kleine Zeiger der grosse und umgekehrt.

 

Im 18. Jh. waren die Minuten noch unwichtig, und was gilt heute eine Sekunde?

 

 

Die Automaten-Gruppe

Auch die Automaten-Gruppe entstand im Jahr 1545.

 

Der Ritter

 

Links steht auf einem Postament in Lebensgrösse ein behelmter und gepanzerter Krieger, der in seiner rechten Hand eine Streitaxt hält und auf der linken Seite ein Schwert führt. Bei jedem Viertelstundenschlag dreht er den Kopf gegen den Tod und mit der linken Hand schlägt er sich auf die Brust. So bezeugt er seinem König die Treue.

 

Der Tod

 

Rechts steht der Tod. In der rechten Hand hält er eine Sanduhr, die er unmittelbar vor dem Stundenschlag dreht, das Stundenglas. So symbolisiert er die Gegensätzlichkeit des Lebens,

wie: gut – böse, Leben – Tod. In der linken Hand hält er den todbringenden Pfeil, der in jedem Augenblick jeden treffen kann. Mit jedem Stundenschlag dreht er den Kopf gegen den Krieger.

 

Der König

 

Zwischen Krieger und Tod sitzt der König auf seinem Thron. In seiner rechten Hand hält er das Zepter, das er bei jedem Stundenschlag hebt und wieder fallen lässt. Ausserdem zählt der König die Stunden, indem er im Takt den Unterkiefer bewegt. Das Zepter symbolisiert seine Macht, der Bart seine Weisheit. Nun trägt der König aber eine Narrenkappe. Die Macht wird zur Tyrannei, wenn der König sie nicht mit Weisheit und dem Witz eines Hofnarrs verbinden kann. Das Leben besteht aus Narrenwerk und Weisheit.

 

Während der Sieger Tod die Stunden ankündigt, zählt der König die einzelnen Stunden und schwingt dazu sein Zepter. Dazu nickt gleichsam der Tod bei jedem Schlag und bestätigt den unerbittlichen Ablauf der Stunden.

 

Der König mit seiner Narrenkappe erinnert uns an das Memento Mori. Wenn Tod oder Krankheit herrschen, kann auch die Macht eines weisen Königs wenig ausrichten.

 

 

 

Der Zeiger überquert die grauen Stunden,

Und jedesmal beginnt’s sich zu bewegen:

Der Tod, der König und der Ritter regen

Die steifen Glieder für ein paar Sekunden.

 

Der König schwingt das Zepter dir entgegen:

«Ich will!» scheint seine Miene zu bekunden.

Der Ritter hält den Knauf des Schwerts umwunden,

die Hand am Herz: «Ich kann!» spricht er verwegen.

 

Und keiner sieht den bleichen Tod daneben,

der seine Sanduhr sinken lässt und schweben

und grinst: - wer weiss, wem diese Blicke galten?

Das Menschenschicksal liegt in seinem Walten…

Ulrich Luder

 

Das MEMENTO MORI ruft nach dem CARPE DIEM. Den Tod ständig vor Augen zu haben fordert auf, den Moment ganz besonders zu geniessen. Warum nicht mit einem feinen Essen im Roten Turm?

 

 

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