Die «Ur-Epidemie» im Mittelalter: Als der schwarze Tod in Solothurn wütete

Im Frühling oder Sommer 1348 traf das kleine Städtchen Solothurn ein Keulenschlag, der mit der jetzigen Situation kaum vergleichbar ist: Viele Menschen wachten morgens mit bläulichen Beulen in der Leistengegend auf, und nach hohem Fieber und allgemeinem Organversagen starben sie oft noch am selben Tag.

 

Die Beulenpest hatte seit 1347 von Genua herkommend auch das Mittelland erfasst und riss binnen Wochen zweistellige Prozentzahlen der Bevölkerung aus dem Leben. Genauere Zahlen zum schwarzen Tod gab es damals noch nicht, «es existierten noch keine Totenbücher» hatte Paul Müller 1984 im Band 57 des «Jahrbuchs für Solothurner Geschichte» festgehalten. Doch geht man von 25 Mio. Toten in Europa binnen drei Jahren aus – einem Drittel der damaligen Bevölkerung. Sie sollte sich erst gut 100 Jahre später von dieser «Strafe Gottes» erholen.

 

Immer weder flackerte die Pest auf

 

Weder Bittprozessionen noch die Selbstfolterung der Geissler und schon gar nicht die spärlich entwickelte Kunst der Ärzte konnten der immer wieder aufflackernden Seuche Einhalt gebieten. Die Sterblichkeit lag bei der Beulen- und selteneren Lungenpest über 95 Prozent! Doch mit der Zeit wurde sorgfältiger Bilanz über die Opfer geführt, und so ist bei Müllers Abriss von 1984 nachzulesen, dass noch lange nach der «Ur-Epidemie» im Hochmittelalter im damaligen Stadtstaat Solothurn Hunderte von Menschen innert kürzester Zeit der Pest erlagen. So kann er zwischen 1611 und 1636 mehrere Seuchenzüge belegen, denn die Zeiten kamen damals der Pest entgegen: Die «kleine Eiszeit» zog Missernten und eine geschwächte Bevölkerung nach sich, und der ab 1618 tobende 30-jährige Krieg in Deutschland sorgte für das Einschleppen der Krankheit durch Flüchtlinge über Basel ins Schwarzbubenland und weiter bis nach Solothurn.

 

Quarantäne in der Stadt Solothurn – Auch der Turm musste schliessen

1611 wütete die Pest zuerst im Raum Olten und erreichte im Oktober auch Solothurn, wo aber relativ wenig Erkrankungen festgestellt wurden. Immerhin hatte man die Ansteckungsgefahr durch «giftige Luft» auch in der Stadt längst erkannt und griff zu Massnahmen: Die Familie von Viktor Zurmatten durfte ihr Haus nicht mehr verlassen und ihr Wirtshaus wurde sofort geschlossen «wie in diesen leidigen Zitten der Bruch ist». Auch die Oberrüttener erhielten Stadtverbot, weil dort ein Pestfall aufgetreten war. Doch 1626/29 holte sich die Seuche im Kanton rund 1100 Personen, davon 60 Prozent Kinder.

 

Nicht in den Totenbüchern aufgeführt sind all die Bettler, fahrenden Kaufleute und Landstreicher, sodass die Opferzahlen wohl wesentlich höher lagen. Ein Oberdörfer namens Hans Probst erhielt eine Busse von 3 Pfund, weil er gegen das Verbot die Stadt betreten hatte. Im November 1628 wurde der «Rote Turm» geschlossen, da der Sohn des Wirts an der Pest gestorben war, im Dezember wurde dann der «Löwen» unter Quarantäne gestellt – Wirtschaften galten schon damals als eigentliche «Hotspots» der Pestausbrüche.

 

Die Pest traf alle – ob reich oder arm

 

Im «Spittu» der Vorstadt wurden zwar nachweislich Erkrankte durch den «Pest-Scherer» Caspar Ott versorgt, denn er musste dem Rat melden, wer seine Angehörigen versorgte und wer nicht. Bettler waren ohnehin chancenlos angesichts des Schwarzen Todes – so begrub der Schweinehirt Urs Gritz täglich rund sechs, sieben von ihnen, die tagtäglich vor den Toren der Stadt starben. Ab 1634 war die Pest für drei Jahre ein Dauerthema. Exemplarisch das Schicksal der Bäckersfamilie Ziegler in Solothurn. Am 23. Oktober 1635 starb der Vater, bis am 26. November die Mutter, zwei Söhne und eine Tochter – den letzten Sohn ereilte das Schicksal gleich nach dem Neujahr 1636.

 

Auch die Privilegierten verschonte der schwarze Tod nicht: Im Mai 1636 verstarben sowohl die Mutter des französischen Ambassadors und kurz darauf dessen Sohn und Tochter. Der Glarner Landammann fing sich damals ebenfalls an der Tagsatzung in Solothurn die Pest ein und schon in Olten holte ihn der Tod ein.

 

Ab Herbst 1634 versuchte der Rat in Solothurn mit heute nur zu bekannten Mitteln, der Seuche Einhalt zu gebieten. Er wies den Vogt von Falkenstein an, die Durchgänge gegen die verseuchten Gebiete «änet dem Bärg» abzuriegeln. Immerhin wurde danach Solothurn vom letzten grossen Pestzug in der Schweiz verschont. 1667 suchte er die reformierten Gegenden heim, weil dort weniger rigoros als in den katholischen Orten Kontaktverbote durchgesetzt wurden.

 

Lebenslängliche Quarantäne im Siechenhaus

 

Nicht nur die Pest sondern auch der kaum ansteckende Aussatz (Lepra) brachte im Mittelalter viel Leid nach Solothurn. Die Betroffenen litten zeitlebens unter offenen, eitrigen Wunden. Auch ihr unerträglicher Anblick bewog Städte wie Solothurn zur Einrichtung von «Siechenhäusern».

 

Aufgenommene Aussätzige hausten in einem solchen Siechenhaus – eines davon im heutigen Alters- und Pflegeheim St. Kathrinen der Bürgergemeinde – lebenslänglich. Sie wurden zwar verpflegt, auch durch eine Magd betreut und genossen geistlichen Beistand, doch das Verlassen des Hauses war strikt untersagt. In lange Umhänge mit Kapuzen gehüllt mussten sie stets eine Holzklapper bei sich tragen, um näherkommende Menschen zu warnen. LepraKranke hatten sich für mindestens 20 Pfund einzukaufen, wobei Stadtbürger bei der Aufnahme ins Siechenhaus den Vorzug genossen. Zudem wurden Almosen für die Aussätzigen gesammelt; auch gab’s viermal im Jahr vom Bürgerspital eine halbe Mass Wein für alle Insassen. Pestkranke dürften dagegen kaum ins Siechenhaus gekommen sein, da der Krankheitsverlauf sehr radikal war und der Tod längstens nach wenigen Tagen eintrat.