Der Rote Turm – ein Stück Solothurner Justizgeschichte Teil 1

Das Gefängnis im Markt-oder Zeitglockenturm, die «Rostkefi»

Die Rechtsprechung hat die Menschen schon immer fasziniert. Dies war auch in Solothurn nicht anders. Der Rote Turm spielte in der Geschichte des Strafvollzugs eine zentrale Rolle. Der Rote Turm ist als der Stadtturm das Statussymbol der Bürger. Die Obrigkeit unterstrich seine Bedeutung mit dem Pranger am und dem Gefängnis im Turm.

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«Ohne Zweifel ist das Erdgeschoss ursprünglich als Gefängnisraum nur durch ein in der Decke befindliches Einsteigeloch zugänglich gewesen», schreibt Gotthold Appenzeller in seinem umfassenden Werk über das Solothurner Gefängniswesen. Sicher war der fensterlose Raum kein angenehmes Gefängnis. Die Solothurner nannten es ein «böses Gefängnis». Vermutlich wurde es nur bis ins 16. Jh. gebraucht.

1478 wurde, damit jedermann es weiss, von der Kanzel verkündet: »Wer Stadtbrunnen verunsubernt wird ohne Gnade gebüsst und eine Nacht lang im fensterlose Zeitglockenturm eingelocht!»

1560 wurde nach einem Schelthandel die «wüst Ludi Scheidemachers Frau in die Rostkefi am Markt gelegt, und so man sie einschliesst, soll sie 3 Pfund Busse geben, den neuen Kreuzstein küssen und ihre Aussagen wiederrufen».
Der neue Kreuzstein, auch Lästerstein genannt, lag beim Fischbrunnen. Den Lästerstein küssen war wie das Stehen am Pranger eine Schandstrafe.

«Geraten, alle die Weiber und Meitli, so zu Weihnacht auf Stecken in der Stadt umhergeritten und ein wüst Leben gelebt, in die Rostkefi zu legen.» Da handelte es sich offensichtlich um Hexen. Solothurn war zu dieser Zeit wie viele andere Städte dem Hexenwahn verfallen. Das Wort Hexe kommt übrigens von Hagazussa, Zaunreiterin. Hag bedeutet dabei – wie in der Mundart – Zaun oder Hecke.

Im Jahre 1581 hatte man aber offenbar nicht nur gegen Hexen, sondern auch mit einer schlimmen Jugend zu kämpfen, wie folgende Zeilen beweisen: «Diewil ein gar unzüchtige, muttwillige, gottlose Juget, so weder von Gott noch von Erbahrkeit nützid halltit, übel schwörend, fluchend, und gottlästerend, da so ist abgerathen, dass vier miner Herren in die schulen gan, ernstlich mitt denn lehrmeistern und schülern reden söllind, damitte sy sich des Gottslasterns müssigind, in der kirchen biss zu ussgang, belibindt, uff der gassen nitt spilind, unnd wann mann zebätten lüthet, morgens, z’mittag unnd abends, niderknüwind und bättind, darneben die weibel auf die Bettler und alle anderen in der Statt umlouffende buben acht habind. Diejenigen, so also fluchend, unfhur tribend, in den «rost»legind!»
Eine wichtige Frage bleibt in Bezug auf die Zweckbestimmung des überwölbten Erdgeschosses offen. Wies der hohe und fensterlose Raum einen Bezug zum Pranger auf, indem er als Verhörkammer diente? So fragt Markus Hochstrasser in seinem spannenden Artikel über den Zeitglockenturm in der Publikation «Archäologie und Denkmalpflege». Fest steht lediglich, dass der Pranger am Zeitglockenturm stand.

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Pranger hatte abschreckende Wirkung

Auf dem Markt wurde nicht nur gehandelt und gefeilscht. Hier begegnete man sich, um die Neuigkeiten auszutauschen; hier konnte man in Musse den ausgestellten Übeltäter betrachten und sich nach Belieben über ihn lustig machen. Der auf dem städtischen Markt herrschende Ton war nicht sehr fein und oft mit derben Spässen gespickt. Durch solche Scherze, die nicht selten in Grausamkeit ausarteten, wurde die Prangerstrafe eine harte Pein für Delinquenten mit Ehrgefühl.
Der Sinn des Prangers ist schnell erklärt: Die Strafe muss abschrecken. Eine Strafe muss deshalb vor allem diejenigen stark beeindrucken, welche die Untat nicht begangen haben.
Der Pranger war Rechtswahrzeichen, ein Symbol der Gerichtsbarkeit der Stadt. Das viel benutzte Strafinstrument, ein Halseisen an einer Kette, war auffällig am Roten Turm befestigt.

Die alten Solothurner waren eine recht fröhliche Gesellschaft. Das Fluchen und das «schwören», wie es damals genannt wurde, war wohl an der Tagesordnung. Darum schritt der Rat 1493 gegen die «nüwen und uncristanlichen swüre» ein. Wer sich des Fluchens schuldig machte, wurde drei Stunden im «halsysen» an den Pranger gestellt und erst «von dannen gelassen» wenn er den Sondersiechen (Leprösen) ein Pfund ausgerichtet, also eine Busse zu einem wohltätigen Zwecke entrichtet hatte. Die Bürger wurden angehalten, jeden Schwur zu «leiden», das heisst anzuzeigen, sonst wurden auch sie gestraft.
Häufig wurde der Delinquent nach dem Prangerstehen aus der Stadt ausgewiesen. Das war nämlich die billigste Lösung, ihn los zu werden.

Brandmarken als Erkennungszeichen

Die Durchführung der Landesverweisung sollte durch das Aufbrennen eines Brandzeichens auf die Schulter gewährleistet werden. So wurde im Jahr 1577 gefordert, dass man die Huren in das Halseisen stelle und ihnen als Brandzeichen mit Feuer den Buchstaben S oder ein Solothurner Schild auf die Schulter brenne. Man nannte das «Solothurnieren».

  • 1578 soll Jakob Tschasa von Pontarlin «von wegen seiner diebstelen solothurniert werden, nachdeme er ein will im halsissen gestanden».
  • 1595 erliess der Rat den Befehl, «herumschweifende gemeine meitli sollen eingezogen und in das halseisen gestellt werden».
  • 1600 wurde Barbara Fuchs, die 32 Diebstähle begangen und dadurch ihr Leben verwirkt haben soll, lediglich in das Halseisen gestellt, weil sie schwanger war; hierauf soll sie von Stadt und Land verwiesen worden sein.

Sehr häufig wurde nach Diebstählen die Todesstrafe ausgesprochen. Schwangere und Jungfrauen durften aber nicht getötet werden, denn sie hatten ihre Aufgabe noch nicht vollendet. Die Wucht der Enttäuschung und Erbitterung würden sie mitnehmen in den Tod, glaubte man damals. Sie würden dadurch zu ruhelosen Dämonen, kämen also nach dem Tode zurück.

Die Jungfrau von Orléans war eine Hexe, kein Mensch. Für sie galt obengenanntes also nicht.

Wie schon angedeutet: Die Strafen waren alles andere als glimpflich. Im Jahre 1643 fand beispielsweise ein Verhör mit einem gewissen Stoffel Lendel statt: «Obgenannter Stoffel Lendel ist Montag den 7. September, nachdem er an dem Halsyssen gestanden, mit Ruetten geschmizt, mit dem S gezeichnet und mit dem Eydt von Stadt und Land verwiesen worden.» Einem Mann namens Hans Richard ging es 1650 nicht besser:

«Hans Richard wird morgen Samstag an das Halseisen gestellt, hernach mit Ruten aus der Stadt geschlagen, mit dem S auf dem Rücken gebrannt, auch eidlich von Stadt und Land verwiesen werden soll.»

Eine Chance hatten die Delinquenten allerdings: Der Übeltäter wurde in Gnaden freigelassen, wenn er mit Eid beschwor, die Stadt nicht mehr zu betreten. Solche Urfehdegelöbnisse finden wir bei allen Arten von Vergehen, sogar bei Verbrechen, die wir heute als kriminelle ansehen.

Marie-Christine Egger

Kulturhistorische Führungen Solothurn