Generalkommissär quittiert den Staatsdienst und übernimmt den Roten Turm

Einen neuen Aufschwung nahm der Rote Turm im 19. Jahrhundert. Am 14. Juni 1806 übernahm die Familie Mehlem den Gasthof vom Alt-Schultheissen Josef Benedikt Bass und führte ihn fast ein Jahrhundert lang mit grossem Erfolg.

Georg Jakob Mehlem stammte aus dem Elsass und liess sich als 20-jähriger in Solothurn nieder. Hier heiratete er und hatte aus der ersten Ehe 3 Söhne und 4 Töchter und aus der zweiten Ehe einen Sohn und eine Tochter. Mehlem war Reisender im Kolonialwarengeschäft Barthlime, gründete in der Steingrube eine Tuchfabrik und verwaltete eine Weinhandlung.

1798 wurde der Commis Mehlem als überzeugter und eifriger Patriot mit 40 Gesinnungsgenossen gefangen gesetzt, als französischer Staatsbürger musste er aber wieder freigelassen werden.

Nach dem Franzoseneinfall setzte Mehlem sich nachdrücklich für die Stadt ein. Dafür erhielt er das Solothurner Bürgerrecht und wurde Doppelbürger. Er wurde zum Militäragenten von Solothurn ernannt und war verantwortlich für Quartier und Verpflegung der französischen Truppen in Solothurn.

Die Ernennung zum eidg. Kriegskommissär

Seine kaufmännische und organisatorische Begabung wurde allgemein bekannt und das «Vollziehungsdirektorium der Einen und Unteilbaren Helvetischen Republik» (die Schweiz war Einheitsstaat nach französischem Muster) ernannte ihn zum eidgenössischem Kriegskommissär.

Mehlem musste nun dafür sorgen, dass einerseits die französischen Kommissäre die erforderlichen Lebensmittel zum Unterhalt der Armee und anderseits die schweizerischen Lieferanten regelmässige Bezahlungen ihrer Lieferungen und Transporte erhielten. Er war Verbindungsmann zu den kantonalen Verwaltungskammern.

Gründung der helvetischen Legion

Sein Arbeitsfeld wuchs, als noch einmal französische Truppen, 23'000 Mann, durch die Schweiz nach Italien zogen, die wiederum verpflegt werden mussten. Gleichzeitig wurde zum Schutz der helvetischen Behörden die Helvetische Legion gegründet, auch diese musste Mehlem versorgen. Beim Ausbruch des zweiten Koalitionskrieges 1799 (Krieg zwischen Frankreich und der Koalition Oesterreich, Russland und England. Diese hatten sich gegen die französische Republik verbündet und planten, die Franzosen gleichzeitig aus Deutschland, Italien und der Schweiz zu verdrängen. Die Schweiz wurde zum Kriegsschauplatz) ernannte das Vollziehungsdirektorium Mehlem zum Generalkriegskommissär der helvetischen Armee.

Für die Schweiz setzte erneut die Versorgungspflicht ein, in weit grösserem Umfang als 1798. Es gab keine Vorschrift, was Mehlem genau tun musste und welche Kompetenzen er hatte. Bei der prekären Versorgungslage, in die alle Kantone durch die französische Besetzung und erst recht durch den Ausbruch des zweiten Koalitionskrieges versetzt waren, stand Mehlem vor einer fast übermenschlichen Aufgabe, die seine Fähigkeiten bei allem rechtschaffenen Einsatz überstieg. Wenn z.B. Mehlem endlich die gewünschte Lieferung an den vorbestimmten Ort dirigiert hatte, stand die betreffende Truppe längst wieder an einem anderen Ort.

Mehlem hatte vom Kriegsministerium keine Auskunft erhalten über Lage, Anzahl und Stellung der Truppen. Deshalb versuchte er, sich mit Reisen und Besuchen der Truppen eine Übersicht zu verschaffen. Der Mangel an Brot war ihm bewusst; um Nahrung herbeizuschaffen brauchte er Fuhrwerke, Hilfskräfte und Geld, er bekam aber weder das eine noch das andere.

Hungernde Schweizer Soldaten plündern

Trotz der rastlosen Tätigkeit Mehlems liess die Verpflegung der helvetischen Truppen zu wünschen übrig. So mussten z. B. die Soldaten im Kampf bei Frauenfeld nüchtern die Oesterreicher angreifen und den ganzen Tag durchhalten. Andere Truppen ohne Sold und Lebensmittel erpressten ihren Unterhalt von den Einwohnern, die selbst kaum mehr etwas zu essen hatten. Helvetische Truppenteile desertierten oder traten zur Koalitionsarmee über.

Diese Probleme hatte Mehlem wohl erkannt.

Er hatte sie dem Minister des Innern und dem des Kriegswesens geschildert und auch schriftlich dem Vollziehungsdirektorium mitgeteilt. Er sah, dass diese traurige Lage seine Möglichkeiten überstieg und bot seinen Rücktritt an; dieser wurde aber nicht angenommen.

Generalkommissär quittiert den Staatsdienst und übernimmt den Roten Turm

Da die Missstände andauerten, schob der vorgesetzte Zivilkommissär die Schuld auf Mehlem: dieser sei seiner Aufgabe nicht gewachsen, handle zu langsam und veruntreue die ihm anvertrauten Gelder. Mehlem wurde gefangen genommen und verhört. Die Untersuchungskommission fand jedoch keine Spur von Untreue, Betrug oder absichtlichem Versäumnis. Mehlem erhielt nach 10 Tagen Haft seine Freiheit wieder. Doch sein Rücktritt wurde jetzt akzeptiert, einen andern helvetischen Posten erhielt er jedoch nicht. So trat Mehlem als Fouragelieferant wieder in den Dienst des Kantons Solothurn. 1800 übernahm er die Lieferungen für die im Kanton stationierten und durchziehenden französischen Truppen.

Einige Preise aus jener Zeit:

1803, also vor gut 200 Jahren, kosteten

  • 1 Portion Brot 12,5 Rappen
  • 1 Portion Fleisch 12 Rappen
  • 1 Portion Gemüse 12 Rappen
  • 1 Portion Salz 1 Rappen
  • 1 Pfund Kerzen 7 Batzen
  • 1 Zentner Heu 15 Batzen
  • 1 Zentner Stroh 10 Batzen
  • 1 Scheffel Hafer 5 Batzen 7,5 Rappen

Im Herbst 1817 erwarb Mehlem zusammen mit dem Stadtrat Franz Zetter an einem Geltstag eine Spezereihandlung, die er unter der Fa. „Mehlem & Comp.“ neben dem Gasthaus bis zu seinem Lebensende führte.

Der rastlos tätige Mann starb im Alter von 64 Jahren.