Ein Wirtshausschild voller Symbole

Moderne Symbole nutzen wir täglich zur Orientierung: Piktogramme im Verkehr, auf Flughäfen, in Bahnhöfen. Wir kennen die Friedenstaube, den Ehering als Zeichen der Treue, aber auch Firmenlogos, Medaillen für sportliche Erfolge etc. Rot, Adler und goldene Weintrauben im restaurierten Wirtshausschild des Turms sind Symbole, deren geschichtliche Bedeutung etwas in Vergessenheit geraten ist.

Wirtshausschilder waren wichtig für Reisende vergangener Zeiten, die nicht lesen konnten. Mehr dazu im «Turmwächter» 2019. Die Themen «Rot und Turm» sind im Turmwächter 2007 unter «Der Rote Turm – ein Denkmal aus dem Mittelalter» ausführlich beschrieben (www.roterturm.ch).

Symbol Turm

Der Rote Turm war Symbol für die Abgrenzung der weltlichen Macht der Bürger im Westen der Stadt gegen die geistliche Macht des St. Ursenstiftes (einer Art Kloster für Adlige) im Osten.

Der Wettstreit um den höchsten Wolkenkratzer der Welt oder auch nur um das höchste Hochhaus der Schweiz sowie der Anschlag auf die Twin Towers des World Trade Centers in New York sind anschauliche Hinweise darauf, dass Türme auch heute immer noch eine besondere Symbolkraft besitzen. Diese Faszination reicht weit in die Antike zurück – man denke an das Weltwunder des Leuchtturms auf Pharos vor Alexandria oder an den Turmbau von Babel.

Der Turm ist ein Symbol für Macht und für das Übersteigen des alltäglichen Niveaus. Es fällt auf, dass bedeutende Kirchen schon früh mehrtürmig erbaut wurden. So besass das alte St. Ursenmünster bis zum folgenschweren Erdbeben im Jahre 1356 zwei Türme.



Symbol Farbe Rot

Seinen Namen erhielt der schon im Mittelalter als Herberge bezeichnete «Rote Turm» nach dem benachbarten Turm, wobei das «Rot» sich offenbar nicht auf die Farbe des Turmes, sondern auf jene des Wirthausschildes bezog, wie es zum Beispiel einen «Roten Löwen» oder einen «Roten Ochsen» gab.

Die Farbe Rot gilt als Farbe des Feuers oder des Blutes. Rot bedeutet schön und wichtig. Der Rote Platz in Moskau ist nicht rot, aber wichtig. Rot war die Farbe der Kaiser und der Obrigkeit allgemein. So legen wir heute noch für wichtige Persönlichkeiten den roten Teppich aus. Solothurn führt unter anderem die Farbe Rot im Wappen, weil es Teil des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war. 1772 verbot die Obrigkeit den Bauern, «scharlachene Tschöpen» zu tragen.

Der Glaube, die Farbe Rot schütze vor bösen Einflüssen, war weit verbreitet. Man trug rot bemalte Amulette oder rote Edelsteine wie Granat oder Rubin als Schutz vor dem «bösen Blick». Auch glaubte man, ein Rubin mache den Träger unverwundbar. Im Mittelalter verwendete man rotes Bettzeug, da dieses «rote Krankheiten» wie Fieber und Ausschlag verhüte oder bei Fehlgeburten hälfe. Noch im 17. Jahrhundert glaubte man, sich mit einer roten Binde um den Arm gegen Seuchen schützen zu können.

Spritzer von Tomatenspaghetti sind kein Ärgernis; vielmehr bedeuten sie Schutz. Streichen Sie Glückstage in der Agenda rot an! In den Kalendern sind Sonn- und Festtage rot gedruckt. Die Verwendung der roten Farbe stammt von den römischen Rechtslehrern, die wichtige Überschriften mit roter Tinte markierten. «Das ist für ihn das rote Tuch» bedeutet: Es reizt ihn aufs Äusserste, wie den Stier das rote Tuch, das der Torero beim Stierkampf schwenkt.

Symbol Adler

Der Ausleger des Schildes endet in einem prächtigen Adlerkopf mit vergoldetem Schnabel und ist ein wichtiger Bestandteil des Schildes. Wer empfindet nicht Ehrfurcht beim Anblick eines auf der Bergspitze sitzenden Adlers? Der Adler war Sinnbild göttlicher und irdischer Macht. Aar bedeutet so viel wie «der Aufblitzende », «der Schnelle». Adel-are «der edle Aar» war der Begleiter von Jupiter/Zeus. Jupiter verwandelte sich oft in einen Adler.

Gemäss Physiologus (Brehms Tierleben des Mittelalters) suchte der alte Adler eine reine Quelle, flog in die Sonne, verbrannte seine alten Fittiche, tauchte dreimal in die Quelle ein und wurde wieder jung wie Phönix. Sicher war der Seeadler, der sich aus dem sonnigen Himmel in den Fluss oder in das Meer stürzt und mit Beute wiederauftaucht, das Vorbild zum Phönix. Engel werden mit Adlerflügeln dargestellt. Die Grösse des Adlers inspirierte zum Vergleich mit der Sonne. Er symbolisierte Gottheiten von Blitz und Sturm, irdische Herrscher und imperiale Nationen. Der römische Adler versinnbildlichte das Weltreich. Seit dem 15. Jahrhundert zierte der doppelköpfige Adler das offizielle Wappen des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches. Der doppelköpfige Adler war das Symbol des Kaisers, der einköpfige bis 1806 jenes des Königs.

1453 übernahm der russische Zar das Symbol des Doppeladlers, und seit 2000 schmückt dieser das Wappen Russlands.

Solothurn gehörte bis zum Westfälischen Frieden 1648 offiziell zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, war aber ein Satellitenstaat Frankreichs. Vom doppelköpfigen Reichsadler gekrönte Solothurner- Wappen sieht man auch heute noch am Zeitglockenturm sowie am Bieltor. Die Botschaft an Frankreich lautete: Sollte es dem König einfallen, keine Pensionen (Bestechungsgelder) mehr ausrichten zu wollen, könnte Solothurn auf die Seite des Kaisers wechseln!

 

Symbol Goldene Weintrauben

Die Geschichte des Weins beginnt mit der Traube. Sie war nicht nur Speisefrucht, sondern wurde mit Geist assoziiert. Die psychoaktive Wirkung des Weines erzeugte das Gefühl, vom Blut der Götter zu trinken. Der Rausch ist ein alter Begleiter des Menschen, der danach trachtet, eine andere Form des Bewusstseins zu erlangen. Rotwein löst die Zungen, was die Erörterung schwieriger Themen vereinfacht. Der Rausch ist verwandt mit dem Tod, der die Seele vom Körper trennt. So werden Märtyrer oft mit Trauben dargestellt. Wie Trauben wurden sie durch Folter und Tod zerfleischt, und gereinigt – wie der edle Wein – gelangten sie ins Paradies. Die Weintraube ist Symbol für Tod (Kelter) und Auferstehung (Wein).

Der Wein ist auch ein Symbol der Freude und der Fülle der von Gott kommenden Gaben. In den Trauben ist die ganze Qualität des Weines verborgen: berauschende Wirkung, Gastfreundschaft, Orgie und Jugend. Wein steht für die Vergnügungen des Lebens und die Befreiung von Sorgen und Pflichten. Das gemeinsame Trinken symbolisiert Aufrichtigkeit und Treue. Wichtige Geschäfte werden mit einem Glas Wein besiegelt. Das gemeinsame Trinken aus einem Glas war ein Verlöbnis- oder Hochzeitssymbol. Der Weinstock verweist auf Fest, Freude sowie auf die endzeitliche Fülle des Lebens und die Erlösung.

Wein und Brot sind das ausgewogene Ergebnis der Arbeit und der Geschicklichkeit der Menschen im Ackerbau. Der männliche Wein und das weibliche Brot symbolisieren die Vereinigung von Flüssigem und Festem.

Das deutsche Wort «Kaufmann» leitet sich vom lateinischen caupo, «Weinhändler», her. Wein war wohl das wichtigste Handelsgut zwischen Germanen und Römern. Bereits vor 2000 Jahren befand sich auf dem Grundstück des heutigen Roten Turms ein ausgebauter Hafenplatz für die Schifffahrt auf der Aare. Vermutlich stand dort schon damals eine Schenke oder sogar eine Herberge für die durstigen und müden Schiffleute, in der vermutlich auch Weinhändler abstiegen.

Gold faszinierte die Menschen schon seit jeher. Durch seinen Glanz ist es ein Symbol für die Sonne. Die Alchemisten waren überzeugt, Gold sei erstarrtes Licht. Es stehe für seelisch-geistige und spirituelle Werte, für Unsterblichkeit und Ewigkeit, Vollendung und Erleuchtung. Goldene Kugeln – und das sind die Trauben – versinnbildlichen ein rundes Ganzes, wie der Reichsapfel die unumschränkte Herrschaft. Die Äpfel der Hesperiden (Nymphen) waren Gaben des Eros. Die Götter erlangten mit den goldenen Früchten die Unsterblichkeit.

 

Symbol Blumen

Blumen waren Embleme des Eros, aber auch von Schönheit, Perfektion, Reinheit, Fruchtbarkeit, Freude und Wiederauferstehung. «Das Äussere einer Pflanze ist nur die eine Hälfte der Wirklichkeit», philosophierte bereits Johann Wolfgang von Goethe.

Am Schild des Roten Turms sind die Blumen «nur» Zierelemente; aber für uns bedeuten sie nach der Coronazeit die Wiederauferstehung der guten Zeiten im Roten Turm. Stossen wir an mit einem edlen Wein – vollkommen, wie die goldenen Trauben: Der wichtige Turm, Symbol der Bürgerschaft, soll auferstehen wie der Phönix aus der Asche. Das Schild verrät es!

Solothurn mit allen Sinnen erleben! Marie-Christine Egger bietet auch zum Thema «Symbolik und Aberglauben» ein besonderes Essen an. Lassen Sie sich bei einem «Zauberkräutermenü» verwöhnen. Zum Schluss brauen Sie sogar einen Zaubertrank, dessen Wunschziel (Harmonie, Freundschaft etc.) Sie bestimmen dürfen. An speziell gedeckten Tischen werden Sie einen ereignisreichen Abend erleben. Ein lustiges Essen, das in Erinnerung bleibt! www.solothurn-stadtfuehrungen.ch