Der Rote Turm – ein Stück Solothurner Justizgeschichte

Das Gefängnis im Markt-oder Zeitglockenturm, die Rostkefi Teil 2

Die Rechtssprechung hat die Menschen schon immer fasziniert. Dies war auch in Solothurn nicht anders. Lesen Sie hier mehr über die interessante Rolle des Roten Turm’s in der Justizgeschichte.

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Vorsicht bei Schwestern…

Am 22. März 1715 hatte sich der Stadtsoldat Mauritz Derendinger zu verantworten. Er soll sich mit zwei Schwestern vergangen haben: «Susanne und Käthi Wiggerli, sind ablesend verhört und daraus ersehen worden, wie dass diese letztere niemals gewusst, das er, Derendinger, mit Jener zu tun gehabt-worüber erkannt, dass Mauritz Derendinger morgens ein Stunde neben Susanne Wiggerli an Pranger gestellt, dieser ein strauiger Kranz auf den Kopf gelegt, eine Rute auf den Rücken gebunden und Jener für 20 Jahre lang zu Handen der Republik Venedig als ein gezwungener Soldat überliefert, beide von Stadt und Land verwiesen werden solle.» Diese Strafe kann folgendermassen erklärt werden: Eine Braut trägt normalerweise einen Blumenkranz. Susanne Wiggerli musste einen Strohkranz tragen. Alle Passanten konnten somit sehen, dass hier die Blume schon gebrochen war.

Viele Verbrecher, die man vorher hingerichtet hätte, wurden im 18. Jahrhundert auf die Galeeren geschickt, was allerdings einem raschen Tod nicht unbedingt vorzuziehen war. Venedig beispielsweise setzte die ihm überschickten Galeerensträflinge nämlich hauptsächlich in den Bergwerken von Bergamo ein.

Unterschiedliche Dauer der Strafe

Die Prangerstrafe dauerte mindestens eine Stunde. Allerdings scheint es Ausnahmen zu geben: Aus dem Jahr 1730 ist folgendes überliefert: «Vergicht Maria Marti, Joseph Bütickhers von Lengendorff Ehefrau, ist ablesend verhört und Erkhandt, dass dieselbe für Ihre wohl meritirte straff uff mondrigen Tag ein halbe stund unden an pranger gestellt, derselben ein leinlachen an Hals gehenkht und demnach von Hrn. Grossweibel eingeschärpfet werden solle, dass sie sich zwey Jahr lang von allhiessiger Statt absentiren solle.» Ob Maria Marti wohl ein Leintuch gestohlen hatte?

Pranger statt Todesstrafe

Glück im Unglück hatte ein Straftäter am 20. Juni 1791: «Arthur Wetzel, wegen Strassenraub bei Olten verurteilt, aber erkannt, dass diesem armen Sünder Gnad widerfahre und die Todesstraf in poenam extraordinariam verwandelt werden solle.» Er wurde eine Stunde an den Pranger gestellt, nachher mit Ruten scharf ausgestrichen, gebrandmarkt und mit dem Eid auf immer von Stadt und Land und der ganzen löblichen Eidgenossenschaft verwiesen mit Bedrohung durch das Schwert im Übertretungsfalle (Enthauptung). Er wurde über den obern Hauenstein bis an die «Baslische Grenze» geführt.

Zur Todesstrafe verurteilte wurden allerdings oft begnadigt, vor allem im 18. Jahrhundert. So kam auch der damalige Turmwirt Karl Schmid in den Genuss einer Begnadigung. Er wanderte nach einer Gefängnisstrafe nach Brasilien aus.

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Obrigkeitliche Hermandat

Hier im Roten Turm wurde also der Gerechtigkeit Genüge getan. Nicht nur Gefängnis und Pranger befanden sich hier. In der Nordwestecke, wo heute Goldschmied Hofer seine Preziosen verkauft, befand sich während langer Zeit die Wachtstube der hochobrigkeitlichen Hermandad (Polizeiposten), während anscheinend die Wirtschaftsräumlichkeiten im ersten Stock lagen.

Schon 1641 befand sich im Zeitglockenturm ein Wachthaus, dafür wurde «…wegen des neüwen Wachthusses underm Zytglockenthurm» 233 Pfund ausgegeben.

1709 verhandelten die Bauherren wegen eines Wachthauses mit der Turmwirtin. Die geschäftstüchtige Wirtin erklärte sich bereit zum Verkauf «… sambt dem darhinder sich befindendten Holzhaus bis an das Höfli», wollte aber nebst 1600 Pfund, dass ihr auf obrigkeitliche Kosten im Wirtshaus ein Keller vergrössert und gewölbt werde.

Im Grundbuch von 1825 ist die Wachtstube noch erwähnt.

1842 ersteigerte der damalige Turmwirt, Amanz Mehlem, die offenbar nicht mehr benützte Wachtstube für 2510 Pfund zurück.

Marie-Christine Egger
Kulturhistorische Führungen Solothurn