Zytgloggeturm
Zytglogge, Solothurn

Turmwirt zum Tode verurteilt

Der Kronenwirt Franz Josef Schmid hatte am 28. November 1785 den Roten Turm vom Immobilienhändler Benedikt Affolter als «die Liegenschaft zwischen dem Zeitglockenturm und der Metzgernzunft» gekauft. Zur Liegenschaft gehörte auch das Haus westlich des Turmes, Hauptgasse 40. Deshalb die durchgehend gleichen Fassaden. 1802 wurde dieses Haus an Peter Glutz verkauft. Heute befindet sich darin das Modehaus Lind.
Ein Sohn des Kronenwirtes, Carl Schmid, wurde Turmwirt. Als Schützenhauptmann wandte er sich in der Zeit der Helvetik der militärischen Karriere zu und kommandierte 1799 die solothurnische Elitekompanie in der ersten Schlacht bei Zürich. Im Jahre 1813 wurde ihm als Oberstleutnant das «Solothurner Kontingent zum Schutz der Neutralität» unterstellt. 1803 wurde der Turm «von des Kronenwirts selig Erben» an Benedikt Josef und Regina Bass-Schmid verkauft. Bis 1806 blieb er im Besitz der Familie Bass, dann erwarb ihn Johann Georg Mehlem. Unter Napoleon waren die aristokratische Regierung gestürzt, die Untertanenverhältnisse aufgehoben und alle Schweizerbürger politisch gleichgestellt worden. Doch nach dem Sturz Napoleons ergriffen in der Nacht vom 8. auf den 9. Januar 1814 die Mitglieder der alten aristokratischen Regierung rücksichtslos wieder die Staatsgewalt. Dabei war Kommandant Carl Schmid eine grosse Hilfe, indem er mit seinen Truppen das Rathaus, das Zeughaus und die Hauptwache besetzte.
Nach diesem Putsch konstituierte sich im Rathaus die neue aristokratische Regierung und sprach dem Kommandanten Schmid für die in der Nacht erwiesene Mühe für Handhabung guter Ordnung das allerhöchste Wohlgefallen aus.

Olten Nordansicht v2
Olten, Nordansicht

Strafexpeditionen nach Olten

Gegen diese Restauration - der Wiederherstellung des politischen Zustandes vor Napoleon - lehnten sich jedoch die Patrioten und das Landvolk auf. Den grössten Widerstand leistete die Bevölkerung von Olten mit dem Leutnant Josef Munzinger, dem späteren Bundesrat und den Hauptleuten Gebrüder Frei. Unverzüglich kommandierte Solothurn Oberstleutnant Carl Schmid mit einer Infanteriekompanie sowie den Jägern und der Artillerie zu Pferd nach Olten. Der Aufstand wurde niedergeschlagen und die Gemeinde entwaffnet. Diese Entwaffnung, das leidenschaftliche Auftreten des Kommandanten Schmid sowie Ausschreitungen, welche einzelne seiner Untergeben unbestraft begingen, brachten diese Strafexpedition bei der Oltener Bevölkerung in sehr üblen Ruf. Sie warfen der Regierung vor, Schmid lasse seine Untergebenen machen, was diese wollten, und man finde kein Recht bei ihm. In einem Memorial an den Grossen Rat liessen Schmids eigene Verwandte und Freunde verlauten, er habe ein hitziges Temperament, einen aufbrausenden Kopf und eine allzu grosse Eigenliebe. Als Alt-Oberamtmann Frei aus Olten nach Zürich reiste, um bei der obersten Landesbehörde zu Gunsten des Landvolkes die durch die Mediationsverfassung garantierten Rechte und Freiheiten zu reklamieren, kehrte er nur mit ausweichenden Vertröstungen nach Olten zurück. Seine Reise bewog die Regierung zu einer weiteren Repression, einer zweiten Besetzung Oltens. Dabei wurden die Okkupationstruppen hauptsächlich in die Häuser der führenden Aufständischen verteilt, und nebst der Verpflegung hatten die Betroffenen auch den Sold der Besatzer, vom gemeinen Soldaten bis zum Kommandanten, zu bestreiten. Als Verpflegung war vorgeschrieben:

– Morgens: Suppe

– Mittags: Suppe, Rindfleisch und Gemüse mit Speck nebst einer Zugabe (Braten)

– Abends: Suppe, Fleisch und Gemüse

– zu jeder Mahlzeit per Mann 1 Schoppen Wein

– für die Pferde täglich 15 Pfund Heu,1 Viertel Hafer und 10 Pfund Stroh.

 

Überfall der Bauern auf Solothurn

Trotz der schnellen Unterwerfung des Aufruhrs brodelte die Unzufriedenheit gegen das neu erstarkte «Ancien Régime» bei der Landbevölkerung. Die Bauern klagten über die Requisitionen der alliierten Armeen und die schleppende und ungenügende Bezahlung der dafür ausgestellten Bons. Zentren der Unruhe waren die Amteien Bucheggberg und Kriegstetten. Zur offenen Empörung führte dann die formelle Sanktionierung der Staatsveränderungen durch die eidgenössische Tagsatzung. Die Gegner des aristokratischen Regimes mussten nun ihre Hoffnung auf Hilfe endgültig begraben. In der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 1814 beschlossen die führenden Männer der Opposition, die aristokratische Regierung gewaltsam zu stürzen. Um 2 Uhr morgens näherten sich über zweihundert Bauern von Bucheggberg und Kriegstetten der «verwünschten Stadt». Ohne von der Torwache des Berntors bemerkt zu werden überstiegen sie beim Kreuzacker mit Leitern die Schanzenmauern. Die zuerst Eingedrungenen entwaffneten die überraschten Torwächter, liessen dann die draussen Wartenden in die Stadt ein und vereinigten sich mit den Patrioten in der Stadt. Alle diese Vorgänge liefen ab ohne den Schlaf der Hauptwache beim Zeitglockenturm zu stören. Platzadjutant Carl Schmid und sein Sohn Franz Schmid wurden unter Hausarrest gestellt und ihre Häuser bewacht. Die provisorische Regierung bedankte sich bei den Bauern mit einem opulenten Mahl im Franziskanerkloster. Doch diese Mahlzeit wurde zum Gelage und uferte in alle Wirtschaften der Stadt aus, auch in den Roten Turm. Soldaten und Bauern torkelten und lagen betrunken in den Gassen herum. Dabei gelang es zuerst Hauptmann Franz Schmid, aus dem Arrest zu entweichen und mit einigen Bürgern das Berntor zu besetzen. Bald danach konnte auch Kommandant Carl Schmid, trotz Bewachung, in Uniform aus seiner Wohnung entkommen. Er begab sich zur Hauptwache und erinnerte dort die Stadtgarnison an ihren Treueid. Als bekannt wurde, es sei noch ein bernisches Kontingent im Anmarsch, zerschellte der Putsch, und die Landleute wurden entwaffnet nach Hause geschickt.

Rathaus Solothurn
Rathaus, Solothurn

Carl Schmid wechselt zu den Aufständischen

Mit einer neuen Verfassung glaubte die aristokratische Regierung, nun wieder fest im Sattel zu sitzen. Mit ihrer einseitigen Bevorzugung der Aristokraten jedoch schürte die neue Ordnung die allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung. Carl Schmid hatte mit Ungestüm und Rücksichtslosigkeit die aristokratischen Interessen verfochten. Jetzt aber erwachte in ihm ein bohrender Hass gegen die führenden Männer, insbesondere gegen den Alt-Schultheissen Peter Glutz-Ruchti. Schmid schrieb sich nicht ganz zu Unrecht den Hauptverdienst an der Niederwerfung der Unruhen im Januar und Juni zu und sah sich jetzt dafür ungenügend belohnt. Er wechselte die Front und stellte sich nun an die Spitze der Oppositionspartei. Im städtischen Freikorps und bei der Schneiderzunft vermochte er eine gewisse Anhängerschaft zu gewinnen, vor allem mit seinem Versprechen der Aufteilung der Stadtallmenden und des Gemeindegutes der Stadt. In der Folge liess ihn die Regierung unter Hausarrest stellen und bewachen. Vor dem Rat musste er Abbitte leisten, was seinen bitteren Hass gegen das Regime nur verstärkte. Kaum aus der Haft entlassen, dehnte er seine Agitation auf die Landschaft aus. Wichtigstes Argument bei seiner Werbung für einen Umsturz war die Tatsache, dass die neue Staatsverfassung dem Volk nicht zur Genehmigung unterbreitet worden war und dass in den neuen Behörden kaum echte Vertreter der Landschaft zu finden seien. Carl Schmid plante, unterstützt von seinem Sohn Franz, einen neuen Aufstand im Oktober. Wegen der Unentschlossenheit der Solothurner Führer scheiterte dieser jedoch kläglich. Carl Schmid wurde verhaftet und einige Tage eingetürmt. Ungeachtet seines Scheiterns gelang es ihm, seine Gesinnungsgenossen nochmals zu einem Versuch zu animieren. Am 3. November versammelten sich in der Vorstadt im Ochsen sein Sohn, Hauptmann Franz Schmid, mit anderen Solothurner Bürgern und Leuten aus der Umgebung, um über einen neuen Plan zur Wiedereinsetzung der Mediationsregierung zu beraten. Der 22-jährige Franz Schmid war ein talentierter Jurist.

Zeughaus
Zeughaus, Solothurn

Revolution en miniature

Am 8. November fand in Tscheppach eine grössere Versammlung statt, an welcher für den 12. November die Besetzung der Stadt beschlossen wurde. Die Aktion begann damit, dass Oberstleutnant Schmid eine Anzahl von ausgewählten Bürgern und Garnisonssoldaten in sein Haus einlud. Ein Imbiss mit Brot, Käse und Wein sorgte für Stimmung. Die Gäste wurden in Schmids Plan eingeweiht, und man schritt zur Tat. Zuerst wurden der Platzkommandant und der Staatsschreiber als Geiseln festgenommen. Dann wurde die Hauptwache beim Zeitglockenturm besetzt. Gleichzeitig bemächtigten sich einige Grenchner und Bucheggberger, bewaffnet mit Stöcken und Aexten, des Biel- und des Berntors. Hauptmann Franz Schmid versuchte jedoch vergeblich, das Zeughaus in seinen Besitz zu bringen; dagegen gelang ihm die Eroberung des Baseltors sowie des Prisons. Inzwischen hatten sich aber die in der Kaserne - dem vormaligen Ambassadorenhof – diensttuenden Offiziere entschlossen, mit ihrer Garnison einen Gegenstoss zu unternehmen, und die mehrfach überlegene Truppe stiess in zwei Abteilungen gegen den Marktplatz vor. Franz Schmids Leute ergriffen die Flucht; auch die Besetzer des Biel- und Berntors suchten kurz darauf das Weite. Die Revolution en miniature hatte genau vier Stunden, von 10.00 – 14.00 Uhr, gedauert. Carl Schmid wurde in seinem Haus unter Arrest gestellt. Und – wiederum zu spät - kam das bernische Hilfskorps anmarschiert.

Prison und Schmiede
Prison und Schmiede

Todesurteil für Carl Schmid

Die Tagsatzung befasste sich mit den wiederholten Unruhen in Solothurn und empfahl der Regierung, diesmal mit strengeren Strafen gegen die Aufrührer vorzugehen. Besonders auf Rache bedacht zeigte sich die aristokratische Regierung von Bern, die von jeder Erhebung im Solothurnischen ein Übergreifen auf ihr eigenes Gebiet befürchtete. Die bernische Regierung wünschte, dass die Schuldigen vor ein ausserordentliches Kriegsgericht gestellt und wenigstens die beiden Schmid, Vater und Sohn, zur Todesstrafe verurteilt würden. Gehorsam wurden nun Carl Schmid und Niklaus Wyss zum Tode verurteilt, auch mussten sie eine hohe Busse bezahlen. Carl Schmid 9597 Franken und 6 4/9 Rappen, Franz Schmid 3602 Franken 4 Batzen und 8 22/27 Rappen. Franz Schmid erhielt eine Haftstrafe von 15 Jahren. Der Grosse Rat wandelte dann aber das Todesurteil in zwanzigjährige Haftstrafe um. Bern nahm die beiden Schmids in die Kerker von Thorberg auf. Dort wartete auf die Verurteilten anfänglich strenge Einzelhaft bei Strohlager und schlechter Kost. Doch auch in Bern liess sich das Rad der Zeit nicht ganz zurückdrehen, und die Haftbedingungen wurden bald menschenwürdiger. Im Juni 1815 erliess die Regierung, auf Wunsch der Alliierten eine zweite Amnestie. Die Gefangenen in Thorberg wurden im September frei gelassen; in einer Zuschrift an die Regierung drückte Carl Schmid Reue über seine Fehltritte aus.

Turmwirt wandert aus

In den Hunger- und Krisenjahren nach 1817 wurden die vielen Armen und Heimatlosen zum grossen Problem. Nebst anderen Massnahmen wurde die Auswanderung gefördert, und Solothurn verhandelte 1818 mit dem portugiesischen Gesandten über eine Teilnahme am Auswanderungsunternehmen des Freiburgers Nicolas Sébastian Cachet nach Brasilien, das eine Schweizerkolonie, Nova Friburgo, vorsah. Als Solothurner Vertreter hatte Cachet Carl Schmid ernannt. Anfangs Juli wurde zuhanden allfälliger Gläubiger im Wochenblatt eine Liste der Auswanderungswilligen veröffentlicht. Sie umfasste 156 Personen. Prominentestes Mitglied war der noch immer verbitterte Carl Schmid.

Marie-Christin Egger
Stadtführerin

© Hotel Roter Turm, 4500 Solothurn