Auf der Flucht vor der Revolution Roter Turm2
Buntes Treiben vor dem Roten Turm zur Zeit der Ambassadoren:
Nich immer war die Stimmung allerdings so friedlich.

Auf der Flucht vor der Revolution

Vom 16. bis zum 18. Jahrhundert war Solothurn stark von Frankreich und den Franzosen beeinflusst. Der Frage, warum dies so war und welche Folgen dies für das kleine Städtchen an der Aare hatte und immer noch hat, wollen wir in dieser Turmgeschichte etwas auf den Grund gehen.

Vor fast 500 Jahren richtete der französische König Franz I. eine ständige Vertretung in der Eidgenossenschaft ein. Die französischen Gesandten hatten zunächst keinen festen Wohnsitz, sondern reisten den Tagsatzungen nach.

Der erste ordentliche Gesandte Frankreichs hiess Louis Daugerant de Boisrigaut. Er liess sich im Jahre 1530 im katholischen und schon vorher ziemlich frankreichtreuen Solothurn nieder. Eigentlich wollte sich der französische Ambassador in Zürich einrichten, die Reformation unter Zwingli mit dem Verbot der Reisläuferei machte dieses Vorhaben allerdings unmöglich. Denn die Aufgabe des Ambassadors und seiner Mitarbeiter bestand vor allem darin, Schweizer Söldner für französische Kriegsdienste anzuwerben. Bis zum 17. Jahrhundert war es nämlich üblich, dass Schweizer Söldner (Reisläufer, abgeleitet von «Reisen») im Dienste vieler europäischer Herrscher standen. Das Geschäft mit der Vermittlung von Söldnern war äusserst profitabel. Einzelne einheimische Familien, wie z.B. die von Besenval, die von Roll und die von Sury kamen dadurch zu bemerkenswertem Reichtum. Zahlreiche vornehme Stadthäuser, wie zum Beispiel das Palais Besenval sind noch heute existierende Zeugen dieser Zeit.


Zentrum des politischen und wirtschaftlichen Lebens

Der Ambassador unterhielt einen über 100-köpfigen Hofstaat. Zum Vergleich: Solothurn zählte im 18. Jahrhundert gerade mal rund 3000 Einwohner. Es erstaunt darum nicht, dass der Ambassadorenhof schnell zum gesellschaftlichen und kulturellen Zentrum Solothurns wurde. Die hiesigen Patrizier strebten denn auch schnell einen Lebensstil wie in Versailles an. Die kleine Stadt an der Aare wurde in dieser Zeit gar zu einem Zentrum des politischen und wirtschaftlichen Lebens der Eidgenossenschaft. Eines der folgenreichsten Ereignisse der neuzeitlichen europäischen Geschichte hatte durch die enge Verflechtung von Solothurn und Frankreich direkte Folgen für die Ambassadorenstadt. Die Französische Revolution liess ab 1789 viele Franzosen in die Schweiz und nach Solothurn fliehen. Die Solothurner Regierung erlaubte den Einwanderern noch im selben Jahr, sich in Privatwohnungen in Solothurn aufzuhalten und in Wirtshäusern zu speisen. Drei Jahre später kam es zu einer neuen Flüchtlingswelle: Die französischen Priester verweigerten sich im Jahre 1791 dem Schwur auf die Revolutionsverfassung. Viele von ihnen flüchteten anschliessend nach Solothurn. Im Jahre 1793 verzeichnete man stattliche 984 «Exulanten» in der Stadt. Nicht eingerechnet sind Flüchtlinge, die als Knechte oder Mägde auf den Höfen in der Umgebung dienten.


Wirtshaus als Zufluchtsort

Wenn sich die Franzosen nicht bei Verwandten oder befreundeten Familien aufhielten, logierten sie in Wirtshäusern, so auch im Roten Turm. Die Wirte waren dabei verpflichtet, dem Schultheissen alle Flüchtlinge zu melden, die länger als drei Tage bei ihnen wohnten. Als sich 1797 ein weiterer Flüchtlingsstrom ankündigte, erliess die Regierung eine neue Verordnung: Es durften sich nur noch Hochbetagte oder Schwerkranke für maximal 14 Tage in Wirtshäusern aufhalten. Die Gastwirte mussten von da an sämtliche Gäste auf Nachtzetteln eintragen und alle Immigranten nach zwei Wochen wegweisen. Der Grossweibel kontrollierte jeden Morgen die Wirtshäuser. Er ermahnte alle Fremdlinge, deren Aufenthaltszeit abgelaufen war, zu schleunigster Abreise. Nahmen Privatpersonen Immigranten auf, die aus den Wirtshäusern weggewiesen wurden, mussten sie eine Busse von 50 Pfund bezahlen. Auch hier wurde streng kontrolliert.

 

Frankreich verlangte Ausweisung

Die zahlreichen Emigranten waren Frankreich ein Dorn im Auge. Der französische Geschäftsträger Théobald Bacher, faktisch der Leiter der französischen Botschaft, verlangte mehrmals und in scharfem Ton die Ausweisung aller Franzosen. Der Rat erliess schliesslich im Dezember 1797 ein hartes Dekret, das die meisten Flüchtlinge veranlasste weiterzuziehen. Der Franzoseneinfall von 1798 trieb dann die letzten noch Zögernden aus dem Land.

Auf der Flucht vor der Revolution Ludwig August von Breteuil2
Ludwig August von Breteuil

Von Jagden und Kutschenrennen

Die französischen Emigranten waren in Solothurn nicht grundsätzlich unbeliebt. So hat beispielsweise Baron Ludwig August von Breteuil der Stadt ein wertvolles Andenken vermacht: Er liess den Schluchtweg in die Einsiedelei im Stil eines Landschaftsgartens anlegen. Doch die Franzosen gaben auch immer wieder Anlass zu Klagen. So verführte zum Beispiel ein gewisser Fanton in Lausanne die Tochter eines ehrbaren Bürgers und floh daraufhin samt der Dame nach Bern. Nachdem er dort ausgewiesen wurde, quartierten sich die beiden kurzerhand in der Krone in Solothurn ein. Die Bleibe war allerdings von kurzer Dauer: Auch hier wurden sie weggewiesen. Oft mussten die Behörden auch gegen fehlbare Immigranten einschreiten: Die Diener des Ambassadoren De Verrac und Diener von Flüchtlingen führten anstössige Reden, die laut Protokollen «zur Störung der allgemeinen Ruhe» führten. Andere Franzosen gingen mit dem Gewehr auf die Jagd, ohne über eine Bewilligung zu verfügen. Dies stiess den einheimischen Patriziern sauer auf, war die Jagd doch ihr Privileg, das sie nicht zu teilen bereit waren. Die Regierung drohte den illegalen Jägern kurzerhand mit Landesverweis. Die Regierung musste auch in einem ziemlich aussergewöhnlichen Fall eingreifen: Den Dienern des Ambassadoren und sämtlichen Immigranten wurde verboten, nach 22 Uhr mit Kutschen und Chaisen in der Stadt herumzukurven. Die Begründung des Rats war vernünftig: Durch die nächtlichen Kutschenrennen würden die Einwohner beunruhigt. Man stelle sich den Lärm von Kutschenfahrten auf Kopfsteinpflaster vor... Kommt dazu, dass ohne Strassenbeleuchtung das Unfallrisiko einfach zu hoch war.

 

Zechprellerei im Turm

So richtig bunt trieben es allerdings zwei Herren namens Pomard und Gourgas aus der Normandie. Die beiden Franzosen assen und tranken gerne gut. Somit waren sie im Roten Turm an der richtigen Adresse. Allerdings liess die Zahlungsmoral der Herren zu wünschen übrig: Monsieur Gourgas schuldete dem Turmwirt Johann Thomas bald einmal die damals horrende Summe von umgerechnet rund 800 Franken. Monsieur Pomard reiste eines Tages mit seinem Kumpel nach Basel und kam ohne diesen wieder zurück. Der Turmwirt forderte die ausstehende Summe rechtmässig von Pomard, da er für die Schuld gutgesprochen habe. Der Franzose bestritt dies jedoch wehement und verweigerte die Zahlung. Der Streit endete in einem langwierigen Prozess, den schliesslich Turmwirt Johann Thomas gewann. Der Gastfreundschaft der Turmwirte tat diese Geschichte allerdings keinen Abbruch. Im Roten Turm sind bis heute alle Nationalitäten herzlich willkommen – auch Franzosen.

Ab 1797 verfolgte Frankreich gegenüber der Eidgenossenschaft drei machtpolitische Ziele: erstens den Zugang nach Norditalien über die Alpenpässe, zweitens die Speisung seiner Kriegskassen und drittens die Nutzung des schweizerischen Wehrpotentials für eigene Kriegszwecke. Der Franzoseneinfall steht für die Besetzung der Schweiz durch französische Truppen in der 1. Hälfte des Jahres 1798. Der Einfall bildete den Auftakt zur Helvetischen Republik und war der Anfang vom Ende der alten Eidgenossenschaft.


© Hotel Roter Turm, 4500 Solothurn